„Bergsteigerdörfer“ – Qualitätslabel für nachhaltigen Alpentourismus

Unter der Bezeichnung „Bergsteigerdörfer“ startete im Jahr 2008 eine Initiative für nachhaltigen Bergsport und eine umweltfreundliche Regionalentwicklung kleiner Tourismusorte. Was als Pilotprojekt des Österreichischen Alpenvereins mit zwölf Gemeinden begann, hat sich inzwischen zu einem ein international anerkannten und begehrten Qualitätskriterium entwickelt. Um das Siegel erwerben zu können, müssen die Dörfer einen strengen Kriterienkatalog erfüllen und sich langfristig für einen nachhaltigen Alpentourismus sowie den Erhalt ihrer regionalen Landschaft engagieren. Bislang gehören 35 Dörfer der Initiative an, verteilt über Österreich, die Schweiz, Italien, Slowenien – und Deutschland.

Alpentourismus – Segen mit kritischen Nebenwirkungen

Saftige Almwiesen, Kuhglockengebimmel, hoch aufragende Gipfel, Ferien in unberührten Landschaften – diese Vorstellung zieht jährlich rund 120 Millionen Urlauber aus aller Welt in die Alpenregionen. Bergsportarten liegen schon seit Jahren im Trend, sie sind in den meisten Talorten mittlerweile als feste Tourismusangebote integriert. Der starke Andrang und die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Tourismus hat vielerorts jedoch weitreichende Konsequenzen für die Natur – besonders, wenn immer noch mehr große Hotelkomplexe aufgestellt, Skischaukeln gebaut und breite Fahrstraßen für eine bessere Erreichbarkeit durch die Landschaft gezogen werden.

Länderübergreifend beobachten Alpenvereine (AV) diese Entwicklungen mit Sorge und widmen sich daher verstärkt der Herausforderung, den Bergtourismus mit dem Schutz des Alpenraumes zu vereinbaren. Daraus ist 2008 beim Österreichischen Alpenverein (ÖAV) eine neue Initiative mit dem Namen Bergsteigerdörfer entstanden, deren erklärtes Ziel es ist, naturverträgliche Tourismus- und Regionalentwicklungen zu etablieren, alpine sowie dörfliche Landschaften zu erhalten und einen ursprünglichen Bergsportbetrieb zu fördern. Alle Teilnehmer haben sich für den Betrieb eines naturnahen, ressourcenschonenden Tourismus entschieden und erfüllen einen strengen Kriterienkatalog, angelehnt an die 1991 aufgestellte Alpenkonvention, ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den acht Alpenstaaten und der Europäischen Union zum Schutz der Alpen.

Bergsteigerdörfer haben viel vorzuweisen

Laut Marion Hetzenauer von der ÖAV-Geschäftsstelle Innsbruck ist der Kriterienkatalog international einheitlich geregelt. Er sei allerdings, seiner Strenge ungeachtet, „nur der zu erfüllende Mindeststandard“, woran sich wiederum das Engagement der teilnehmenden Gemeinden und ihr Selbstbekenntnis zu einer nachhaltigen Tourismusvariante ableiten ließe, so Hetzenauer: „Was die Bergsteigerdörfer ganz klar auszeichnet, ist, dass sie einen ganzheitlichen Anspruch haben. Vorrangig geht es natürlich um nachhaltigen Alpintourismus, in den aber viele andere Faktoren einfließen, die wir auch als Anspruch an uns selbst haben.“ Wie ihr Name schon suggeriere, solle die Initiative den Bergsport und den regionalen Charakter miteinander verschmelzen lassen, sagt Hetzenauer. Das setze gewisse geographische und demographische Anforderungen voraus, beispielsweise einen Mindestunterschied von 1000 Höhenmeter zwischen dem niedrigstem und dem höchsten Punkt eines Gemeindegebietes oder einem Einwohnergrenzwert von 2500 pro Gemeinde bzw. Ortsteil. „Alpinistisch interessante Möglichkeiten für mehrere Sportarten von verschiedenen Anspruchs- und Altersklassen“ seien ebenfalls ein Muss.

Kriterien für die Vergabe des Siegels

Die offizielle Satzung der Initiative umfasst zudem weitere Pflichten und Ziele, die ein Bergsteigerdorf erfüllen muss. Neben Vorgaben zur „Alpinkompetenz“ – der Gewährleistung von Sicherheit beim Bergsport, etwa durch gepflegte Alpinwegenetze und kompetenter Touristenbetreuung – setzen sie zudem gewisse Ortsbild-, Landschafts-, Mobilitäts- und Kooperationsqualitätsstandards voraus. Vorhanden sein sollten also unter anderem eine bergsportfreundliche Infrastruktur in Form von Schutzhütten und nachhaltigen Mobilitätsangeboten, regionale Erzeugung und Vermarktung von Produkten, Kooperationen mit lokalen Bergsteigerdorf-Partnerbetrieben sowie eine ortsbildtypische Bebauung.

Die Bewahrung des typischen Ortsbildes gehört zu den Kriterien bei der Vergabe des Siegels

Zentraler Bestandteil des Projektes sei es aber vor allem, die Dörfer dazu zu bewegen, auf Entwicklungsschritte zu verzichten, welche zwar einen wirtschaftlich lukrativen Massentourismus fördern, die Umwelt jedoch massiv beeinträchtigen würden, erklärt Tobias Hipp vom Deutschen Alpenverein (DAV): „Um das Siegel zu erhalten, dürfen die Dörfer keine Ausschlusskriterien erfüllen, sprich, eine Entwicklung einschlagen, die unserer Philosophie widerspricht, d.h. etwa große Hotelkomplexe und Skigebiete in ein Naturschutzgebiet oder Wasserkraftanlagen in geschützte Flussgebiete bauen.“ Eigentlich eine Selbstverständlichkeit könnte man meinen, aber mancherorts leider noch immer traurige Realität.

Eine Initiative, unterschiedliche Rollen

Trotz des einheitlich umgesetzten Kriterienkatalogs kommt dem Siegel nicht in jedem Ort dieselbe Rolle zu. Eigentlich sei die Initiative vorrangig als „Entwicklungshilfe“ für kleinere Bergdörfer in Österreich gedacht gewesen, erzählt Hetzenauer, nämlich „um Impulse für etwas schwächere Touristendestinationen zu schaffen, die es aber durchaus vertragen, noch bekannter zu werden“. Dies solle jedoch mit Blick auf einem naturfreundlichen Tourismus und nachhaltigem Bergsport erfolgen, von vornherein eine spezielle Zielgruppe ansprechen und auch den Einheimischen somit einen dauerhaften von Mehrwert bringen.

Nur Orte, welche die strengen Kriterien erfüllen, dürfen das Qualitätslabel führen.

Im deutschen Alpenraum hingegen startete die Initiative 2015 laut Tobias Hipp unter anderen Voraussetzungen, denn die vier bayerischen Bergsteigerdörfer Ramsau, Kreuth, Schleching und Sachrang seien bereits vor ihrer Auszeichnung touristisch gut aufgestellt und über die Grenzen hinaus bekannt gewesen. Ihre Projektteilnahme habe sich ergeben, „weil sie explizit ihren Tourismus anders ausrichten als ihr Umfeld und mit ihrer Gemeinde und Politik in die Vorreiterrolle gehen, um Projekte zu entwickeln und nachhaltig etwas zu bewirken“, so der DAVler. Marion Hetzenauer bezeichnet Ramsau in Berchtesgaden gar als „Paradebeispiel“. Er sei „ein extrem bekannter Ort, der wirklich was ausrichten“, seine Gäste sensibilisieren und sich so durch seinen nachhaltigen Tourismus etablieren wolle.

Impressionen vom Bergsteigerdorf Ramsau bei Berchtesgaden

Lebensstandard statt Lippenbekenntnis

Dass die Initiative „Bergsteigerdörfer“ein Lebensstandard und keine Werbestrategie ist, zeigt sich in Deutschland, anders als in Österreich, auch in der mangelnden Unterstützung in Form staatlicher oder gar EU-Fördermittel. Den Großteil der Projektkosten tragen die Alpenvereine selbst, zudem leisten Partnerbetriebe kleinere Beiträge. In Einzelfällen helfen Länder, Städte oder Kommunen bei der Mitfinanzierung von bestimmten Vorhaben. Auf der österreichischen Projektebene zahlen die Teilnehmerdörfer sogar einen Mitgliedsbeitrag, damit die Grundstruktur der Initiative erhalten bleiben kann. Tobias Hipp berichtet, dass die Alpenvereine zwar bereits versuchten, ihr internationales Projekt so aufzustellen, dass es für EU-Fördergelder infrage komme. Dennoch halte er diese Selbstständigkeit der Initiative auch für ein klares Zeichen dafür, wie viel es den Orten bedeute, dort mitzumachen und zwar auf längere Sicht. „Die Gemeinden haben bewusst unterzeichnet, dass sie langfristig dabei sind“, sagt er. „Das ist sehr viel wert, weil auch die Gemeinden wissen und wollen, dass dieses Bekenntnis zum Bergsteigerdorf kein Lippenbekenntnis ist. Es ist keine Marketinghülle, sondern da ist wirklich ein langfristiges Commitment dahinter. Das sind sich die Gemeinden bewusst und genau das wollen sie auch.“

Wir werden im Touremo-Magazin in loser Folge einzelne Bergsteigerdörfer porträtieren.

https://www.bergsteigerdoerfer.org/

Text: Laura Geigenberger
Bilder: Aufmacher, Bild 2 und 3 (Sport): Tourist-Information Schleching
Bild 3: (Ortsbild Sachrang): Joachim Brahms
Ramsau: DAV/Tobias Hipp

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