Blog Alpenstraße, Tag 6

Gestern hatten wir noch mit Klaus Graf von Moltke über die Hirschbrunft gesprochen, bei der aus dem friedlichen Pflanzenfresser Rothirsch, zumindest akustisch, ein brüllender Löwe wird. Tatsächlich konnte ich nachts, bei geöffnetem Fenster, vom nah gelegenen Gehege des Gutes, immer wieder ein tiefes Röhren hören. Unglaublich so eine Stimme, wahrlich dem Löwengebrüll ebenbürtig. 

Früh am Morgen wandele ich, noch etwas schlaftrunken, direkt hinüber zum Gehege, um nach dem Verursacher meiner nächtlichen „Ruhestörung“ zu sehen. 

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Impressionen von Gut Steinbach 

Nachts war es kalt, auf dem Gras liegt Rauhreif, über dem kleinen See des Gutes (siehe Bild oben) entfaltet sich ein sanfter Nebelhauch. Am Gehege angekommen beobachte ich den sich immer wieder hebenden Kopf des Sechzehnenders, begleitet von einem langen, tiefen Röhren und einem Dampfstrahl seiner warmen Atemluft. Sein Rudel scheint sich daran gewöhnt zu haben und äst währenddessen gelassen an der Futterkrippe.

Treffen mit dem Tourismus-Chef

Auch meine „Futterkrippe“, der Speiseraum des Gut Steinbach, wartet schon auf mich. Nach dem Frühstück habe ich einen Termin mit Florian Weindl, Leiter der Tourist-Info von Reit im Winkel. Wir treffen uns zum Auftakt unserer Gesprächsrunde in der Lounge von Gut Steinbach. Unsere Themenfelder streifen nachhaltige Mobilität in der Gemeinde und generell alle Schwerpunkte einer nachhaltigen Tourimusentwicklung in Reit im Winkl. 

Im Gespräch mit Florian Weindl (links) über nachhaltige Tourismusentwicklung in Reit im Winkel

Der Ort lebe zu 80% vom Tourismus, was bedeutet, dass den Gästen des Ortes insgesamt 400 privat betriebene Unterkünfte aller Kategorien zur Verfügung stehen. Unterstützt durch Förderprogramme der Regierung entwickelt sich nun auch der Ausbau von Ladestationen, so seien bereits drei neue Schnellladesäulen im Ort von der Gemeinde geplant. Vor allem die größeren Hotels seien Vorreiter für den anstehenden Ladeinfrastrukturausbau. Der Großteil des touristischen Beherbergungsangebotes liege aber bei kleineren Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen. Was die Energieversorgung betrifft sei Reit im Winkel zumindest in Bayern, wenn nicht in ganz Deutschland eine Vorzeige-Gemeinde. Durch die Initiative und Vision des Energieberaters Bernhard Stangls gelang es, im Jahre 2000 bis zu 95 Prozent der Häuser im Ortskern an die Nahwärmeversorgung anzuschließen. Das Holzschnitzel-Kraftwerk – auch als Bürgerwerk bezeichnet – gewährleistet die Wärmeversorgung u.a. auch des Gutes Steinbach. Mobilität sei ein wichtiges Thema, wobei hier jede Kommune andere Voraussetzungen habe. Als Wanderregion stehe die Mobilität zu Fuß an erster Stelle. So weist die Website der Gemeinde beachtliche 74 Tourenvorschläge aus, darunter fünf Premium-Wanderwege. Aber auch Biker und E-Biker finden hier attraktive Routen für ihre „Ausritte“. 

Nach dieser Informations-Ouvertüre lädt Herr Weindl zu einer Fahrt ins Ortszentrum ein und versorgt mich mit umfassendem Kartenmaterial und Broschüren zu den umfangreichen touristischen Angeboten.

Wanderer und (E-)Biker entdecken im umfangreichen Kartenmaterial viele attraktive Routen

Florian Weindl bietet eine Runde durch Aschau an, auf der er mir auch das Hackschnitzelwerk der Gemeinde zeigt, mit dem Reit im Winkel seine klimaneutrale Heizung betreibt. Wir entschließen uns trotz des knappen Zeitbudgets kurzfristig noch zu einem Besuch des Milchschafhofs Gstatter und melden uns zu dieser spontanen Stippvisite beim Bauern an. Wir sind willkommen. 

Besuch auf dem Milchschafhof Gstatter, in dessen Hofladen die eigenen Produkte vertrieben werden

Und so fahren wir gemeinsam zum Naturland-Milchschafbetrieb, mitten in den Chiemgauer Alpen zwischen Chiemsee, Salzburg und Tirol gelegen. Wir haben Glück und treffen den Chef Florian Gstatter an, als er kurz davor ist, zum letzten Mal in diesem Jahr seine große Schafherde aus den Stallungen hinaus auf die in steiler Hanglage liegende Weidewiese zu lassen. Wir kommen gleich ins Gespräch über Weichkäse, Joghurt und Quark, Fleisch, aber auch über selbstgemachte Pflanzenseifen aus Schafsmilch. Produkte, die es allesamt im angegliederten Hofladen zu kaufen gibt. Florian öffnet während unseres Gesprächs die Tür zur Stallung und heraus wuseln 100 Schafe in voller Wolle.

Wir folgen den Tieren auf dem Weg zur nahegelegenen Weide und dabei erzählt uns der Schafhalter umfassend alles Wissenswerte über die Schafzucht, sein Geschäftskonzept und auch – in eindringlicher Weise – von seinem Kampf mit dem Wolf. Vierzehn Tage waren sechs Mann beschäftigt, einen 1,2 km langen, elektrisch gesicherten Zaun um die beiden Weidewiesen zu errichten, und dies in unwegsamem Gelände. Ohne die Kostenbeteiligung des Staates wäre dies nicht möglich gewesen. Als der Wolf das erste Mal zwei seiner Schafe riss, habe er wohl noch Glück gehabt. Es hätten auch zehn oder mehrere sein können, erzählt der Landwirt. Er erinnerte sich noch, wie die Kadaver ein ganzes Wochenende von Freitag bis Dienstag bei 40 Grad Hitze stinkend in der Nähe des Hofes liegen mussten, da über das Wochenende keine Tierbeseitigung erreichbar war. Wir erfahren auch, dass die schmalen Farbzettel in blauer Farbe am Zaun dem Wild und den Wölfen signalisieren, dass hier Vorsicht geboten sei. Rote Markierungen würden von den Wildtieren nicht erkannt. Wieder etwas dazugelernt. Deshalb seien die Markierungen an den Straßenbegrenzungspfosten auch in blauer Farbe gehalten.

Nach dieser beeindruckenden Erzählung am „Tatort“ kehren wir zum Hof zurück, wo uns die Ehefrau Sabine Gstatter mit einer Platte Schafkäse empfängt, die Bäuerin ist für die Veredelung der Schafprodukte zuständig. Es is ein Genus, die Schmankerl zu verkosten. Und zum Abschied gibt mir Florian Gstatter noch ein Packerl pelletierten Düngers aus reiner Schurwolle mit. Dieser nachhaltige Dünger mit Langzeitwirkung eigne sich bestens für Obst, Gemüse, Rasen und Zimmerpflanzen. So steht es auch auf der Verpackung.

Letzte Etappe nach Berchtesgaden

Es wird Zeit für mich, die letzten 50 Kilometer der Deutschen Alpenstraße bis nach Berchtesgaden anzugehen. Und die sind landschaftlich mit die schönsten der gesamten Strecke. Was ich gleich schon hinter Reit im Winkl sehen kann, denn eng zwängt sich die Deutsche Alpenstraße durch das Schwarzlofertal, um dann im Drei-Seen-Land, einem moorigen Talboden, dem Einschnitt in der Landschaft weiter zu folgen. Kaum Spuren der Zivilisation sieht man hier, es könnte irgendwo in Kanada sein. Und so schaue ich etwas verträumt, ob nicht ein Elch im Wasser von Weit-, Mitter- und Lödensee steht. 

Der Weitsee ist ein lohnender Halt, denn er liegt in einem idyllischen Tal zusammen mit weiteren Seen

Eingefasst wird meine Weiterfahrt von mächtigen weißen Kalkbergen, von denen einer, der Rauschberg, der Hausberg von Ruhpolding ist. Eingebettet zwischen Bergrücken liegt der beliebte Urlaubsort unter mir, die Deutsche Alpenstraße passiert ihn etwas erhöht mit weitem Ausblick. Dann wird es wieder enger und kurviger, bis mit Inzell der nächste bekannte Urlaubsort erreicht ist. Der Ort ist weltweit bekannt als Eisschnelllaufzentrum. Von Inzell aus wurde 1933 auch der erste Abschnitt der Deutschen Alpenstraße Richtung Berchtesgaden in Angriff genommen.

Die Ferienroute biegt knapp vor Inzell scharf rechts ab und zeigt jetzt so richtig, was eine richtige Alpenstraße ausmacht. An steilen Felswänden schraubt sie sich entlang und man kann hier die Stützmauern aus der ersten Phase des Straßenprojektes bestaunen, bei denen noch auf Naturstein gesetzt wurde. Beim Trassieren der Straße entdeckte man unter Schutt begrabene Felsen, die wellenförmig abgeschliffen waren. Tatsächlich entstanden diese Formationen während der letzten Eiszeit, als Eismassen das Gestein beim langsamen Darüberschieben bearbeitet haben. Kaum zu glauben: Dieses Naturjuwel wurde erst in letzter Minute gerettet, denn erste Sprengungen hatten bereits begonnen. Heute ist der Gletschergarten ein lohnender Halt direkt an der Deutschen Alpenstraße.

Und immer wieder Hingucker auf die herbstliche Farbenpracht auf dem Weg nach Ramsau

Die fädelt nun in die Weißbach-Schlucht ein, die sich als mächtiger Canyon darstellt, überragt von beeindruckenden Berggestalten. Felswülste ragen an der Straße heraus, als wollten sie nach dem Q 4 greifen – doch der umkurvt sie alle geschickt. Es geht nun rechts ab nach Schneizlreuth steil hinab durch den Wald in das Tal der Saalach, die auf einer alten Brücke überquert wird. Das winzige Schneizlreuth ist überragt von einer mächtigen weißen Felswand, die einem Dom gleich über dem kleinen Kirchlein des Ortes steht.

Das Stakkato wilder Berglandschaften geht weiter, denn der nächste beeindruckende Großcanyon führt zwischen mächtigen Felswänden hoch zur Schwarzbachwacht. In diesem steilen Gelände ist die Straße geschützt durch Verbauungen, Stützmauern und Netze, um sie vor Steinschlag zu bewahren. Die riesigen Felstürme über mir scheinen das kleine graue Asphaltband nicht so ohne Weiteres passieren lassen zu wollen. In kühnen Schwüngen und Kehren fällt die Straße schließlich nach Ramsau ins Tal ab. Das kleine Kirchlein von Ramsau vor dem Hintergrund der weißen Kalkhörner der Reiteralpe ist eines der bekanntesten Fotomotive in den Deutschen Alpen. 

Doch ich will mir abseits meiner Route noch einige Motive suchen und lenke den „Stromer“ von Ramsau zum Hintersee, einem traumhaften Bergsee. Schließlich erreiche ich Berchtesgaden, den Zielpunkt meiner Reise und das Ende der Deutschen Alpenstraße. Beinahe, denn ich beschloss auch noch die Rossfeld-Höhenringstraße auf meinem E-Trip mitzunehmen, die in den 1930er Jahren von den Nationalsozialisten als Prestige-Projekt gebaut wurde. Sechzehn Kilometer Bergstraße führen mich hoch auf 1.570 Meter und sind gespickt mit Ausblicken. Der Audi Q 4 e-tron darf wieder seine bullige Kraft entfalten und bei den Abfahrten Strom rekuperieren. Das wird ihm in Zukunft fehlen, denn im Vergleich zur Deutschen Alpenstraße werden ihm viele ebene Strecken nur noch langweilig erscheinen. So wie auch mir.

Links:
Deutsche Alpenstrasse Reiseplanung
Tourist Info Reit im Winkl
Bio Milchschafhof Gstatter
Gut Steinbach

Text: Elmar Thomassek
Bilder:
Elmar Thomassek
Drei Bilder Gut Steinbach: Tobias Hertle
Bild Forsthaus Gur Steinbach nachts: Klaus Lorke

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