Blassgrünes Michelin-Sternchen

Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl eines Restaurants ist für Gäste nach der Güte der Küche zunehmend auch deren Nachhaltigkeitsanspruch. Dabei geht es nicht vorrangig nur darum, ob das Restaurant vegetarische oder vegane Speisen anbietet, sondern ob Restaurant- oder Hotelbetreiber sich in besonderer Weise für die Umwelt und den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen engagieren.

Diese Gastronomen zu ehren, den Verbraucherinnen einen Wegweiser zu ihnen an die Hand zu geben und zugleich andere Restaurantbetreiber zu ermutigen, es den Vorbildern gleichzutun, ist an sich eine gute Idee in Zeiten zunehmender Eco-Sensibilität. Wie diese jedoch durch die Verleihung des „grünen Sterns“ durch den Guide Michelin umgesetzt wurde, kann nicht mehr als suboptimal bezeichnet werden, sondern ist eine echte Farce. Manchen sprechen gar von „Greenwashing“ in Reinkultur.

Auszeichnung für besonderes Umweltengagement 

Seit Anfang 2020 vergibt der Guide Michelin auch einen grünen Stern, der durch eine grüne Blume symbolisiert wird. Dieses Emblem soll den potenziellen Besuchern signalisieren: „Hier wird Wert auf Nachhaltigkeit gelegt.“

Das grüne Blatt symbolisiert den „grünen Michelin-Stern“

Dies bezieht sich nicht nur auf die Auswahl und Zubereitung der Speisen, sondern generell auf das „nachhaltige Engagement“ des Restaurants oder Hotels. Das heißt: Um den grünen Stern zu erhalten, kann es sein, dass es ein besonderes Abfallvermeidungskonzept gibt, die Energie aus dem Blockheizkraftwerk stammt oder die Einrichtung des Restaurants aus heimischem Holz gefertigt wurde. In vielen Fällen geht es jedoch auch um die Herkunft der Speisen: Stammt das Gemüse aus dem eigenen Anbau oder vom Bio-Bauern? Kommt das Wild aus der Region oder greift der Chef sogar selbst zur Flinte? Wichtig auch: Wird möglichst vieles vom Tier verwertet und was geschieht mit den Resten?

Der grüne Michelin-Stern wurde erstmals im Januar 2020 bei der Auftaktveranstaltung des Guide Michelin Frankreich vorgestellt. Seit letztem Jahr können sich 53 Restaurants in Deutschland mit der Auszeichnung schmücken. 18 deutsche Restaurants erhielten 2020 den grünen Stern, 2021 kamen 35 Vorzeige-Betriebe dazu. Hier lässt sich vorzüglich speisen, doch die Gäste können überdies sicher sein, dass sich Inhaber, Küchenchefs und das Personal auch dem Umweltgedanken verpflichtet fühlen. Essen mit gutem Gewissen also. Doch stimmt das auch?

Der grüne Stern: Glaubwürdig oder fragwürdig?

Die Frage sei nämlich durchaus gestattet, wie es den Testern, die sich während ihres Besuchs im Restaurant schließlich nicht als solche zu erkennen geben, gelingen kann, quasi nebenbei die Nachhaltigkeitskonzepte und -Maßnahmen eines Gastbetriebs zu überprüfen.

Die Eigentümerin des „Relais & Châteaux Gut Steinbach Hotel & Chalets“, Gräfin Susanne von Moltke, beschreibt: „Wir beantworten unseren Gästen gerne alle Fragen dazu, woher unsere Produkte und Lebensmittel stammen, wie wir sie zubereiten und was hinter unserer nachhaltigen Philosophie steht“.

Gut Steinbach – Regionalität gepaart mit Raffinesse

Zu der im malerischen Reit im Winkl gelegenen Destination gehört eine biozertifizierte Landwirtschaft mit mehr als 50 Hektar Fläche. Hier werden Rotwild, Hühner, Gänse, die vom Aussterben bedrohte „Tauernscheckenziege“ und Yaks artgerecht gehalten. Auf Weiden versteht sich, für Gäste sichtbar. Ansonsten stammt der Großteil der Lebensmittel von regionalen Partnern, wie Küchenchef Achim Hack versichert: „Unser Prinzip, dass 80 Prozent der Lebensmittel aus einem Umkreis von 80 Kilometern kommen, geht bei uns nur deswegen auf, weil wir in unserer Region langfristige Partner gefunden haben, die diesen Weg gemeinsam mit uns gehen.“ Und was die Zubereitung angeht, hat der gebürtige Schwarzwälder ebenfalls den Anspruch der „kompromisslos umgesetzten Nachhaltigkeit“.

01_GS_Forsthaus_Klaus Lorke 14
02_DSC_3204
03_GS_Image_Tobias_Hertle-6671
previous arrow
next arrow

Die Küche von Gut Steinbach setzt auf regionale Produkte

Praktiziertes „Nose-to-Tail“-Prinzip

Nicht nur die Verwendung von Edelteilen wie Filet oder Lende, sondern aus Respekt vor dem „geopferten“ Lebewesen, auch anderer, oft unterschätzter und weniger bekannter Stücke, sollte eigentlich Usus in gastronomischen Betrieben sein.  Auf bayrisch würde man sagen „von der Schnauzn bis zum Haxn“ oder verständlicher „vom Maul bis zum Schwanz“. Heißt: das Küchenteam von Gut Steinbach verwertet möglichst alles vom Tier und verwandelt etwa auch Innereien und Schweinsfüße zu raffinierten Gerichten. Diese besondere Küchenphilosophie war sicher ein Baustein, warum Gut Steinbach in den Chiemgauer Alpen mit dem grünen Stern gewürdigt wurde. Wem beim Gedanken an köstliches Kalbsbries, Nierchen oder Ochsenschwanzsüppchen nicht das Wasser im Mund zusammenläuft, dem sei der Weg ins Tian in München oder Wien empfohlen.

„No-Waste-Kultur“ im Tian: Aus Gemüseresten wird Miso-Paste

Paul Ivic ist der einzige Koch in Österreich, der es mit einer rein vegetarischen Küche geschafft hat, die Tester des Guide Michelin zu überzeugen. Nach dem Tian in Wien bekam das Restaurant am Viktualienmarkt 2019 einen „normalen“ Stern und jetzt neu auch den grünen Stern von Michelin. „Wir sind in puncto Nachhaltigkeit schon im Vorteil, weil wir vegane und rein vegetarische Speisen anbieten“, sagt Ivic, Geschäftsführer und Küchenchef beider Restaurants. Er betont, dass sie über die hohen Standards der „Fair-Trade-Produkte“ hinaus, einen Schritt weiter gehen. So stammt beispielsweise die Schokolade von „Original Beans“. Die Hersteller der Bioschokolade handeln mit den Kakao-Produzenten 5-Jahresverträge aus und bezahlen den Farmern 5000 Dollar pro Tonne Kakaobohnen anstatt der üblichen 800 bis 1000 Dollar, erzählt der Gastronom.

03_TIAN_Paul Ivic
04_TIAN Team
05_TIAN_Restaurant_Wien
06_TIAN_Fava
14_TIAN_Sunny Side Up
15_TIAN_Donut
previous arrow
next arrow

Bei Paul Ivic und seinem Tian-Team spielen fair gehandelte Produkte ein zentrale Rolle

Der Sternekoch findet es richtig von Michelin, dass sie nun den Nachhaltigkeitsaspekt mitberücksichtigen, „denn Essgewohnheiten haben großen Einfluss auf Ökologie und Ökonomie und die Gastronomie trägt hier auch eine Verantwortung.“ Wie die Tester die Kriterien überprüfen, die über das servierte Mahl hinausgehen, darüber kann auch er nur spekulieren. Ivic nimmt an, dass die Inspektoren bei den Mitarbeitern nachhaken. Ein Aspekt, den die Küchenteams bei ihm in München und Wien verinnerlicht haben, ist die Abfallvermeidung, das so genannte No-Waste-Prinzip. Schon im Einkauf wird darauf geachtet, dass nur so viel eingekauft wird, wie später gebraucht wird. Zu 100 Prozent könne man Abfall – der Chef de Cuisine spricht lieber von „Gemüseresten“ – natürlich nicht vermeiden. Doch aus Gemüseresten wird zum Beispiel Misopaste zum Würzen hergestellt oder das sogenannte „Garum“. Hierbei wird eine Fermentationsmethode angewandt, die bereits im alten Rom bekannt war.   Was aber, wenn doch vom feinen Essen etwas übrigbleibt? Hier setzt die App „Too good to go“ an, deren Gründer sich auf die Fahnen geschrieben haben, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.

„Too Good to Go“ – Resteessen fürs Klima

Ist das Essen einmal zubereitet und bleibt etwas übrig, haben Restaurants – neben Supermärkten und Bäckereien – die Möglichkeit, über die App „Too Good to Go“ dies kundzutun und für einen kleinen Preis Abnehmer zu finden. Ein Restaurant, das hier mitmacht, ist das „Fürstenfelder“ in Fürstenfeldbruck. Geschäftsführer Gerhard Kohlfürst erzählt: „Wenn vom Lunchbuffet etwas übrig ist, bedienen sich die Mitarbeiter und danach kann jeder sich eine Lunchbox per App für 4,50 Euro bestellen.“

02_fuerstenfelder_Foto_Kilian_Blees
Fürstenfelder 01 Küchenchef Andreas Wagner Foto Tobias Binder
Fürstenfelder Restaurant Foto Wolfgang Pulfer Fotografie
previous arrow
next arrow

Im „Fürstenfelder“ werden Bio-Produkte und Abfallvermeidung groß geschrieben

Kohlfürst erfuhr von der Auszeichnung mit dem grünen Stern von einem Lokalreporter. Er war überrascht, auch wenn das Unternehmen mit seinem Biergarten, Hotel und Restaurant schon seit 17 Jahren bio-zertifiziert ist – die Michelin-Welt hatte er aber nicht sonderlich auf dem Schirm. „Wir wissen, wo unsere Wurst, die Spareribs und das Brot herkommen, weil wir auch nur mit zertifizierten Unternehmen zusammenarbeiten.“ Wie genau die Tester von Michelin vorgehen, weiß auch er nicht. Er nimmt an, dass doch im Wesentlichen beim Besuch die Qualität der Speisen und Getränke getestet wird und ansonsten über das Unternehmen recherchiert wird.

Dine good, do good

Was alle Grüne-Sterne-Restaurants eint: Sie setzen sich dafür ein, dass alles, was auf dem Teller landet, möglichst mit den Prinzipien der Nachhaltigkeit vereinbar ist: Fisch, Fleisch, Gemüse – alles sollte aus der Region stammen und aus nachhaltiger Wirtschaft. Doch das Engagement endet nicht mit dem kunstvoll dekorierten Gericht. Das ganze Küchenteam soll bei der Zubereitung „grüne“ Prinzipien befolgen. „Speise gut und tue Gutes dabei“ – so bringt es Jimmy Ophorst auf den Punkt. Der Küchenchef des Restaurants Pru in Phuket, dem einzigen Restaurant in Thailand, das mit einem grünen Stern ausgezeichnet wurde, verfolgt eine nachhaltige Philosophie, bei dem es auch darum geht, den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Neben Abfallvermeidung ist das Thema „Abfall-Recycling“ ein zunehmend wichtiges. Hierzu zählt, wenn Bio-Abfälle in der eigenen Kompostieranlage verwertet werden oder wenn Abfälle in Dünger oder Biodiesel umgewandelt werden.

Zeitgemäße Idee mit Greenwashing-Hautgout

Kein Zweifel, Michelin könnte Lob für die Vergabe des „grünen Sterns“ einheimsen. Zum einen handelt es sich bei einer derartigen Auszeichnung um ein signifikantes Medium zur Sensibilisierung der Verbraucherinnen und es dient zugleich den Gästen als praktischer Wegweiser hin zu nachhaltig wirtschaftenden gastronomischen Betrieben. Das Label würde auch Anreize für Restaurantbetreiber schaffen, es ihren „grünen“ Vorreitern gleichzutun. Der Umwelt zuliebe, aber nicht zuletzt auch als Beitrag zum positiven Image des Betriebs.

So wie die Verleihung jedoch gehandhabt wird, ist sie – mit Verlaub – eine glatte Irreführung von Verbraucherinnen und Gastronomen. Was soll denn eine Auszeichnung wert sein, die nicht auf transparenten, nachvollziehbaren und überprüften Kriterien basiert? Schon überlegen manche Restaurantbetreiber, den „Grünen Stern“ zurückzugeben, weil sie diesen ohne ein Öko-Audit oder eine glaubwürdige Zertifizierung „verpasst“ bekommen haben. Die Zeche für das fragwürdige (Nicht-)Agieren von Michelin zahlen vor allem jene gastronomischen Betriebe, die sich tatsächlich in einem hohen Maße um Nachhaltigkeit in vielen Bereichen bemühen, aber mit jenen im selben Sternchentopf landen, die lediglich heimisches Holz im Restaurant verbaut haben. Wo es keine Kriterien, kein Punktesystem, folglich kein Ranking gibt, kann naturgemäß auch keine Abstufung erfolgen, etwa in Form von 1-3 grünen Sternen.

Auf unsere Frage, wie die Einhaltung der verschiedenen Eco-Maßnahmen überprüft wird und wie diese jeweils in der Gesamtbeurteilung gewichtet werden, konnten wir von der Michelin-Pressestelle keine befriedigende Auskunft erhalten. Im Gegenteil: dass nämlich ausgerechnet anonyme Restaurantkritiker prädestinierte Eco-Prüfer sein könnten, wie man uns weis zu machen versuchte, ist schon ein starkes Stück. Uns ist jedenfalls kein Gastronom untergekommen, der darüber berichten konnte, dass ihn Gäste gefragt hätten, ob sie einen Blick auf das BHKW werfen könnten, von dessen Existenz sie gehört hätten… Hinzu kommt: eine Anerkennung vorwiegend aufgrund von Selbstauskünften auszusprechen, wie Michelin freimütig zugibt, ist an sich schon ein Witz, der nur noch durch die Tatsache getoppt wird, dass einer der von uns kontaktierten Ausgezeichneten nichts von seinem grünen Stern wusste, ein anderer davon von einem Journalisten erfahren hatte. Unsere geschilderten Beispiele zeigen, dass es die allermeisten Betriebe sicher ernst nehmen mit ihrem Eco-Anspruch und sie vermutlich keine Bedenken hätten, die Einhaltung ihrer Maßnahmen im Rahmen einer professionellen Zertifizierung offen zu legen.  Nur dadurch hätte die Auszeichnung dann auch Gewicht bei Verbraucherinnen, die gerade bei Umweltlabels genauer wissen möchten, was sich dahinter verbirgt.

Links

MICHELIN Grüner Stern 2021 – nachhaltige Gastronomie gefragter denn je

https://www.gutsteinbach.de

https://www.fuerstenfelder.com

https://www.tian-restaurant.com/muenchen

http://prurestaurant.com

Aufmacherbild: Tobias Hertle
Emblem Blume: Michelin
Fotos Gut Steinbach: 
Bild Nummer 1: Klaus Lorke
Bild Nummer 2 und Bild Nummer 3: Tobias Hertle
Fotos Tian: Ingo Pertramer
Fotos Fürstenfelder:
Bild 1 Kilian Blees
Bild 2: Tobias Binder
Bild 3: Wolfgang Pulfer

Autorin: Susanne Frank

Geschrieben von
Mehr von Susanne Frank

Slowflowers – Schnittblumen ohne Gift und Plastikhülle

Säen, umgraben, bewässern, düngen, Unkraut jäten – eine zunehmende Schar meist junger...
Weiterlesen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.