Dem oberbayrischen Menschenschlag sagt man nach, dass ihm der Spagat zwischen Moderne und Bodenständigkeit in besonderer Weise gelingt. Und dank seiner konservativen Beharrlichkeit gibt es – bei aller inszenierten Bavaria-Folklore – auch noch traditionelles Brauchtum mit alten Trachten, unverfälschten Mundarten und ursprünglicher Volksmusik.
Doch trotz des geschärften Bewusstseins, für das, was es wert ist, erhalten und bewahrt zu werden, wäre ausgerechnet dem Bayernland um Haaresbreite ein ganz besonderes, lebendiges Kulturgut für immer abhanden gekommen: das bayrische Urvieh mit Namen Murnau-Werdenfelser Rind.
Lange beliebt und geschätzt
Wie in vielen anderen Regionen Europas gab es auch in Bayern früher eine große Zahl an Nutztierrassen mitsamt ihren regionalen Ausprägungen, den sogenannten „Schlägen“. Vor 100 Jahren waren allein bei den Rindern knapp 30 Rassen bekannt.
Zu den beliebtesten gehörte von jeher das Murnau-Werdenfelser Vieh, das Mitte des 19. Jahrhunderts auch als Altwerdenfelser bzw. Oberländer bezeichnet wurde. Noch um 1950 grasten über 60 000 dieser genügsamen und vitalen Tiere auf den Wiesen und Almen der Region rund um Garmisch-Partenkirchen und des grünen Voralpenlands vom Murnauer Moos bis hin nach Oberammergau.
Allen Anforderungen, die Bauern einstmals an ihre Rinder stellten, wurden die robusten Murnau-Werdenfelser gerecht und entsprechend bevorzugt wurden sie gehalten. Die Kühe des Dreinutzungsrindes gaben als gute Futterverwerter trotz der oft kargen oder sauren Nahrung reichlich Milch, die trittsicheren Ochsen erbrachten überdurchschnittliche Zugleistungen in schwierigem Gelände und das Fleisch der Tiere wurde wegen seiner besonderen Qualität geschätzt. Weitere Gründe für ihre Beliebtheit waren auch ihr hohes Lebensalter, das die anderen Rassen in Bayern übertraf, und ihre Fruchtbarkeit. Hinzu kommt, dass sie sich dank ihrer harten Klauen und der hohen Belastbarkeit ihrer Gelenke bestens für die Haltung auf feuchten, sogar sumpfigen, Standorten und auf steilen Weideflächen eigneten.
Bunte Ahnenreihe
Wie genau die ursprüngliche Rinderrasse Oberbayerns entstanden ist, darüber gibt es bis heute keine endgültigen Erkenntnisse. Sehr wahrscheinlich kamen die ersten Vorfahren über die Verbindung klösterlicher Betriebe vom tirolischen Stams zu den bayrischen Klöstern Ettal und Murnau. Diese Tiere werden der Oberinntaler Rasse zugeordnet. Später kam es zu Einkreuzungen von Grauvieh aus der Schweiz, verschiedenen Braunviehschlägen, Fleckvieh, der gelben steirischen Rassen Mürztaler und Murbodner sowie des fränkischen Ellinger Rindes. In jüngerer Zeit versuchte man – jedoch mit geringem Erfolg – durch den Einsatz von Bullen der nicht genetisch verwandten, aber im Aussehen ähnlichen französischen Rasse Tarentaise die Milchleistung zu erhöhen und den Genpool zu vergrößern.
Seinen kunterbunten Abstammungsverhältnissen entsprechend variiert das Aussehen der mittel-rahmigen, einfarbigen Rasse beträchtlich. So finden sich bei den Kühen Rottöne, auch Farben von Hell- bis Dunkelgelb, Gelbbraun bis zu dunklem Rotbraun. Manche Tiere tragen dunkle, bisweilen schwarze Gesichtsmasken. Die Bullen sind generell dunkler gefärbt. Ihre Farbpalette reicht von tiefem Rot bis zu Schwarzbraun.
Besonders bei den semmelgelben und rot-schwarzbraunen Exemplaren kommt ein roter Stirnschopf vor. Entlang des Rückens verläuft ein heller Streifen, der sogenannte Aalstrich. Nasenspiegel, Klauen, die Haare der Schwanzquaste, Augenlider und Zunge sind stets dunkelgrau bis schwarz pigmentiert. An der Basis sind die Hörner weißlich-gelb, im oberen Drittel schwarz. Das schwarze Flotzmaul und die dunklen Augenlider werden weiß bis hellgelb umrandet („Mehlmaul“).
Niedergang und Renaissance
Es sind mehrere Faktoren, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts derart zum rapiden Zusammenbruch der Bestände beitrugen, dass zeitweise nur noch in zwei Betrieben reinrassige Tiere gehalten wurden. Im Jahre 2005 nahmen nur mehr 113 Herdbuchkühe an der Milchleistungsprüfung teil. Die Rasse stand damit unmittelbar vor dem Aussterben.
Ein wesentlicher Grund für ihren dramatischen Niedergang lag in der rasch fortschreitenden Technisierung der Landwirtschaft, in deren Folge Traktoren die leistungsfähigen MW-Zugochsen ersetzten. In der Zucht und im Verkauf von Ochsen bestand aber bis dahin eine der wichtigsten Einnahmequellen vieler Bauern. Gerade die besten Stiere wurden damals viel zu schnell kastriert, um die Nachfrage nach Arbeitstieren zu befriedigen und fielen damit als Vererber aus. Wie auch bei anderen Dreinutzungsrassen verhinderte so die „Verochsung“, dass Milch- und Fleischleistung durch gezielte Zuchtmaßnahmen gesteigert werden konnte.
Als dann schließlich Mitte des 20. Jahrhunderts mit der zunehmenden Ausrichtung auf Milch- oder Fleischproduktion die planmäßige Züchtung von spezialisierten Hochleistungsrassen wie Braun- oder Fleckvieh begann, war das in seinem Leistungsvermögen stagnierende bayrische Urvieh deutlich ins Hintertreffen geraten. Schließlich wurde den Bauern von offizieller Seite sogar ans Herz gelegt, die Rasse durch Verdrängungskreuzungen mit Braunvieh aufzulösen bzw. durch andere Rassen zu ersetzen.
Nur dem Engagement einzelner Züchter, Landwirte, Politiker und Verbänden wie der GEH (Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e. V.) ist es zu verdanken, dass sich der Bestand der Rasse in den letzten Jahren allmählich erholte.
Die Vergrößerung der Population auf inzwischen wieder etwa 2600 Tiere ist ganz wesentlich auch dem im Jahr 2007 gegründeten Förderverein zu verdanken. Seine Mitglieder engagieren sich ehrenamtlich für die positive Entwicklung der Bestände und unterstützen interessierte Landwirte bei Zucht und Aufzucht. Durch gezieltes Marketing will man den Bekanntheitsgrad der Rasse in der Öffentlichkeit erhöhen und ihre besonderen Qualitäten bewerben.
Letztlich hängt die endgültige Rettung des bayrischen Charakterrindes jedoch von der Aufgeklärtheit, dem Qualitätsbewusstsein und dem Kaufverhalten der Verbraucher ab. Nur wenn die Nachfrage nach regionalen, hochwertigen Produkten von Tieren aus artgerechter (Weide-)Haltung – ob bio oder konventionell – weiter steigt, werden sich noch mehr Landwirte für die Haltung der Murnau-Werdenfelser entscheiden.Auch eine noch so große Nachfrage läuft freilich ins Leere, wenn die Vermarktung der Produkte nicht gut organisiert ist, wenn der potentielle Kunde nicht weiß, auf welchem Weg er an die Ware gelangt.
Marketing und Vertrieb ist im Falle des Murnau-Werdenfelsers zum Glück für Kunden und Rasse professionell organisiert. Dafür ist maßgeblich eine Person verantwortlich: Jürgen Lochbihler, zugleich Vorsitzender des Fördervereins, Geschäftsführer der Vermarktungsgesellschaft und Wirt der bekannten Gaststätte „Der Pschorr“ am Münchner Viktualienmarkt.
Besondere Qualitäten
Im „Pschorr“ wird seit dem Jahr 2005 das Fleisch der Murnau-Werdenfelser Rinder als heimische Spezialität angeboten. Dabei wird ganz in alter Tradition das gesamte Tier verarbeitet – vom Schwanz bis zur Nase. Was früher üblich und heute als „Nose to Tail“- Küchentrend propagiert wird, ist nicht nur Ausdruck der Achtung der getöteten Geschöpfe, sondern vermittelt zugleich neue/alte Geschmackserlebnisse. Vorausgesetzt, der Koch versteht sein Handwerk, ist kreativ und auch bereit, sich Wissen über alte Kochtraditionen anzueignen. Wie beim „Pschorr“, wo man sogar besondere, lange vergessene „Schmankerl“ wieder neu entdeckt hat.
So findet sich auf der Speisekarte etwa das Zwerchfell vom Rind, in Bayern und Österreich „Kronfleisch“ genannt. Das äußerst schmackhafte Stück wird in vielen Ländern gegrillt serviert, in Bayern wurde es meist kurz gekocht. Es sind jedoch nicht nur diese besonderen Gerichte, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Das zarte, feinfaserige Fleisch der Murnau-Werdenfelser mit seiner ausgeprägten Marmorierung findet in jeder Zubereitungsart immer mehr Liebhaber. Diese besondere Güte ist freilich nicht allein der Rasse selbst geschuldet, auch die artgerechte Haltung auf kräuterreichen Weiden und das im Vergleich zu modernen „Turborindern“ deutlich langsamere Aufwachsen tragen zur Premium-Qualität bei.
Deftiges bayerisches Ochsengulasch
Ein Rezept von Franz Huber, Küchenchef des „Pschorr“
Ochsengulasch
800g Rinder-Edelgulasch
6 bis 8 große weiße Zwiebeln
2 Knoblauchzehen
4 bis 5 EL Öl zum Braten (z. B. Rapsöl)
100g Tomatenmark
0,5l kräftiger Rotwein (z. B. Bavarian Red L II)
1 unbehandelte Zitrone
0,5 TL Kümmel, gehackt Salz, Pfeffer
Zubreitung
- Das Fleisch in etwa 5 cm große Würfel schneiden. Die Zwiebeln in feine Streifen schneiden und den Knoblauch fein hacken
- Das Öl in einem Topf erhitzen, die Zwiebeln hinzugeben und bei mittlerer Hitze schmoren, bis sie eine goldgelbe Farbe angenommen haben.
- In der Zwischenzeit die Fleischwürfel mit Salz, Pfeffer und Paprikapulver gut würzen.
- Tomatenmark und Knoblauch zu den Zwiebeln geben, anschließend das gewürzte Fleisch. Alles kurz vermengen und sofort mit Rotwein ablöschen (das Paprikapulver darf nicht anbrennen). Einmal aufkochen und bei mittlerer Hitze 1,5 bis 2 Stunden köcheln lassen. Darauf achten, dass das Fleisch immer bedeckt bleibt, dazu die Soße immer wieder mit Wasser auffüllen.
- Kurz vor Ende der Garzeit etwas Abrieb von einer Zitrone und den Kümmel zugeben. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
Beilagen
Als Beilage empfehlen wir Semmelknödel und Gurkensalat.
Tipp
Murnau Werdenfelser Rinder-Edelgulasch eignet sich ideal für die Zubereitung dieses beliebten Klassikers. Das lang gereifte Fleisch mit seinem natürlichen Fettgehalt gelingt beim Kochen besonders weich und saftig.
Doch nicht allein das Fleisch wird von qualitätsbewussten Verbrauchern geschätzt, auch die Milch der Murnauer ist eine Klasse für sich. Und dies ganz im wörtlichen Sinne, denn wissenschaftliche Untersuchungen weisen eine einzigartige Zusammensetzung und große Vielfalt der Milchproteine nach. Das „Beta-Laktoglobin W“ kommt allein bei den „Roten“ vor, wie sie bisweilen auch genannt werden. Aufgrund dieser Besonderheit eignet sich ihre Milch, trotz des durchschnittlichen Fettgehalts, hervorragend zur Verkäsung. Und so kommen auch Vegetarier in den Genuss der besonderen Qualität von MW-Erzeugnissen.
Seit 2016 kredenzt die Schaukäserei Ammergauer Alpen in Ettal den Murnau-Werdenfelser, einen handwerklich gefertigten Schnittkäse. Ausschließlich aus der Milch von Murnau-Werdenfelser Kühen.
Seit 2016 kredenzt die Schaukäserei Ammergauer Alpen in Ettal den Murnau-Werdenfelser, einen handwerklich gefertigten Schnittkäse. Ausschließlich aus der Milch von Murnau-Werdenfelser Kühen.
Mit der artgerechten Aufzucht der Murnau-Werdenfelser Rinder werden inzwischen wieder 52 Landwirte aus der Ursprungsregion betraut, die ihrer verantwortungsvollen Aufgabe mit großer Sorgfalt nachgehen. Und mit viel Zuneigung und Respekt gegenüber einem bayrischen Kulturgut erster Güte.
Die Firma MuWe Fleischhandels GmbH vermarktet unter dem Markennamen „MURNAU WERDENFELSER, Bestes vom Rind“ Produkte des bayrischen Ur-Viehs. Unter www.murnauwerdenfelser.de findet sich neben interessanten Informationen auch eine Liste von Bezugsquellen.
Schlachtung und Weiterverarbeitung erfolgen von der im Zuchtgebiet ansässigen Metzgerei Petermichl in Antdorf: Gasthof Petermilch
Die Schaukäserei Ammergauer Alpen produziert speziellen MW-Käse: Schaukäserei Ettal
Wissenswertes über die Rasse vermittelt Robert Höck in seiner Filmreihe über alte Nutztierrassen unter Schöne und seltene Rinderrassen
Seit 2005 führt Slowfood Deutschland die Rasse Murnau-Werdenfelser Rind als „Passagier“ der „Arche des Geschmacks“. Mehr dazu unter Slow Food